Zeit zu handeln

«Zersiedelung bremsen» skandieren Planer, während Unternehmer «Grundlagen für wirtschaftlichen Wachstum» fordern. Wo andere einen Widerspruch beklagen, sehen wir eine Anregung zum Umdenken.

 

Land sei rar und teuer, klagen nicht nur künftige Eigenheimbesitzer, sondern auch immer mehr KMU. Wer Platz braucht und bauen will, muss entweder viel Geld in die Hand nehmen oder jahrelang warten, bis ein geeignetes Stück Land zu haben ist ­− und dann auch noch das Glück haben, den Zuschlag zu erhalten. Zuviel Unplanbarkeit für viele Unternehmer. Sie errichten neue Produktionsstätte im Ausland oder zementieren mit hässlichen Lagerhallen das Bild des unattraktiven Schweizer Mittellandes.

 

Reizwort Verdichtung

Raumplaner fordern schon lange einen haushälterischen Umgang mit Boden, da dieser nicht unbeschränkt verfügbar sei. Doch für viele Schweizerinnen und Schweizer ist verdichtetes Bauen ein Reizwort, und auch die meisten Grundeigentümer sehen keinen Grund, mit Sorge in die Zukunft zu sehen. Klar ist: Der Boden ist eine zentrale Ressource für (wirtschaftliche) Entwicklung. Dennoch scheint der Ruf nach Innenentwicklung ungehört zu verhallen. Ist am Ende doch alles nur Panikmache?

 

Die Fakten

Prüfen wir die Fakten. Die Gesamtfläche der Schweiz beträgt 41’285 km2. Die Landwirtschaftsflächen nehmen mit 36 Prozent den grössten Anteil ein. Ein knappes Drittel des Landes ist von Wald bedeckt, und rund ein Viertel machen Seen, Flüsse, Gletscher, Fels und Geröll aus, sogenannt unproduktive Fläche. Für Arbeiten, Wohnen, Erholung und Verkehr − die Siedlungsfläche − verbleiben 7,5 Prozent. Eine Fläche, etwa zweimal so gross wie der Kanton Luzern. Der Boden ist ein beschränktes Gut, und über die Hälfte der Schweiz ist nicht besiedelbar. 1:0 für die Planer.

Das grosse Rechteck steht schematisch für das Gebiet der Schweiz. Die kleinen Rechtecke zeigen, wie gross die Flächenanteile der einzelnen Nutzungsarten sind. So ist zum Beispiel fast ein Drittel der Landesfläche mit Wald bedeckt.

Dank Seen, Wäldern & Co. ist die Flächenstruktur bis zu einem gewissen Punkt gegeben, doch die Nutzung ist im Wandel. Die Bevölkerung wächst, der Bedarf an Wohn-, Gewerbe- und Infrastrukturflächen nimmt zu. Und so wird überall im Land rege gebaut. Allerdings nicht verdichtet, sondern da, wo noch Platz ist. Entsprechend dehnt sich die Siedlungsfläche laufend aus und wächst seit Jahrzehnten. Neue Gebäude, Strassen oder Schienenwege entstehen auf Kosten von landwirtschaftlich genutztem Boden. Dem UVEK zufolge wird inzwischen jährlich eine Fläche von der Grösse des Walensees verbaut (1). Jeder kann sich ausrechnen, ob diese Rechnung langfristig aufgehen wird. Zwischenstand: 2:0 für die Planer.

 

Verdrängte Industrie

Und Industrie und Gewerbe? Sie scheinen aus den Zentren zu verschwinden. Prägten Handwerk und Produktion früher das Stadtbild, wurden diese im Zuge der Industrialisierung immer mehr an den Stadtrand verlagert. Lärm- und Geruchsemissionen, Konflikte mit Nachbarn, grosse Konkurrenz um geeignete Grundstücke und die steigenden Immobilienpreise trieben diese Entwicklung voran.

Heute belegen Industrie und Gewerbe schweizweit gerade einmal noch 8 Prozent der Siedlungsfläche − fast gleich viel wie Erholungs- und Grünanlagen (2). Die Zentren haben sich zu Wissensgesellschaften entwickelt, wo sich in erster Linie Dienstleister ansiedeln. Dazu haben auch die Stadtplaner ihren Teil beigetragen: So haben in der Stadt Zürich zwischen 1963 und 1999 die Industrie- und Gewerbezonen kontinuierlich abgenommen (3). Dies zeigt auch ein Blick auf folgende Grafik (4). Endstand: 2:1 für die Planer.

 

Quelle: Erläuterungsbericht BZO 2014: Gerechter. (AFS, 2013)
 

Konzepte braucht das Land

Was heisst dies nun für produzierende KMU? Für sie wird es tatsächlich immer aussichtsloser, Land zu finden, schon gar nicht in urbanen Gebieten. So lange KMU die Maxime des Erdgeschosses als wertvollste Fläche verfolgen, stossen wir hierzulande eher früher als später an unsere Grenzen. Wir plädieren für ein Umdenken. Für einen zukunftsfähigen Wirtschaftsstandort Schweiz braucht es Konzepte und Lösungen. Wir haben uns schon mal ein paar Gedanken gemacht.

 

1. Übernehmen, was funktioniert

Die Bevölkerung wächst und braucht Platz, sowohl beim Wohnen als auch beim Arbeiten. Eine durchdachte Innenentwicklung bietet die Chance, dass mehr Menschen im Bestand wohnen und arbeiten können. Massnahmen gegen die Zersiedelung im Bereich Wohnen wirken, der Flächenverbrauch pro Person ging zurück (siehe Grafik (5) unten). Es ist an der Zeit, dass auch für die Arbeitswelt entsprechende Konzepte entwickelt und angewandt werden. Denn warum sollte fürs Arbeiten nicht gelten, was beim Wohnen funktioniert?

Massnahmen gegen Zersiedelung im Bereich Wohnen wirken:
Der Flächenverbrauch pro Person ging zurück.

Quelle: UVEK (2018): Zersiedelungsinitiative. Faktenblatt Bauzonen.

 

2. Re-Shoring ermöglichen

Die Trennung von Wohnen und Arbeiten ist überholt. Die Rückkehr produzierender Unternehmen in städtische Gebiete ist aus unserer Sicht wünschenswert und realistisch. Denn mit den heutigen Technologien sind neue Herstellungsverfahren möglich, welche die Produktionskosten senken, den Flächen- und Materialbedarf reduzieren und nicht zuletzt die Emissionen verringern. Voraussetzung ist, dass die Bedürfnisse der Unternehmen in den Planungsprozessen berücksichtigt werden. Produktionsstandorte müssen in den kantonalen Richtplänen gesichert werden, damit KMU die Chance haben, sich anzusiedeln. Ziehen Politik und Wirtschaft am gleichen Strick, ermöglichen wir ein Re-Shoring der Produktion in der Schweiz und schaffen neue Arbeitsplätze.

 

3. Land mobilisieren

Die Schweiz hat zwar genügend Land, das bebaubar ist, doch ein grosser Teil ist entweder am falschen Ort oder nicht verfügbar. Es sind gesetzliche Voraussetzungen zu schaffen, um das nicht verfügbare Land zu mobilisieren, also tatsächlich zu bebauen.

 

4. Vertikal bauen

Platz schafft, wer in die Höhe statt Breite baut. Die Vorteile der Vertikalisierung liegen auf der Hand:

  • ökologisch: Flächenverbrauch reduzieren
  • ökonomisch: kleinere Grundfläche = weniger Land = tieferer Preis
  • sozial: Standortsicherheit / kein Fachkräftemangel
  • innovativ: von Clustern / Nutzungsmix profitieren
  • re-lokalisieren: urbane Standorte mit Nähe zu Lieferanten und Abnehmern

 

5. TUN

Es wird viel diskutiert und lamentiert. Viel mehr bewegen könnten wir, wenn wir unsere Zeit und Energie in die Umsetzung stecken würden. Unternehmen wie V-Zug und Komax haben es vorgemacht: Es geht auch anders. In diesem Sinne: Lassen Sie uns gemeinsam innovative Lösungen für einen zukunftsfähigen Standort Schweiz erarbeiten.   

 


 

Quellen

https://www.uvek.admin.ch/uvek/de/home/uvek/abstimmungen/abstimmung-raumplanungsgesetz/boden-ist-ein-knappes-gut.html
https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/raum-umwelt/bodennutzung-bedeckung/siedlungsflaechen.html
EBP Schweiz AG (2021): Standorte für urbane Produktion und Retail. Ein Leitfaden für Produzierende, Immobilienentwicklerinnen und die öffentliche Hand.
UVEK (2018): Zersiedelungsinitiative. Faktenblatt Bauzonen.